Wo wurde Nikodemus erwähnt
Der Name Nikodemus entstammt dem Griechischen und lautet übersetzt "Sieger über das Volk" - ein in der Zeit der Entstehung des Christentums verbreiteter Name. Heute tritt er in der Namengebung nicht mehr auf im Gegensatz zu dem gleichbedeutenden "Nikolaus". So verwundert es nicht, dass nur noch wenige etwas mit diesem Namen anfangen können und es kaum bekannt ist, dass der Träger dieses Namens im Johannesevangelium eine Rolle spielt. Will man auf die Frage eine Antwort finden, was diese Gestalt dem Nikodemus-Werk als Namenspatron bedeutet, so ist es nötig, zunächst ihrem Auftreten im Johannesevangelium nachzugehen:
Das erste Mal erscheint Nikodemus im Anschluss an die Tempelreinigung (3.1-22). Des Nachts tritt er an Jesus Christus heran mit den Worten "Meister, wir wissen: du bist von Gott gekommen, ein Lehrer. Niemand vermag die Zeichentaten zu tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist." Er wird als ein Führer der Juden aus dem Kreis der Pharisäer bezeichnet. Diese Stellung klingt in dem "wir wissen" auch mit, die ganze Sicherheit desjenigen, der die Schriften kennt - heute würde man sagen, des arrivierten Wissenschaftlers. Die Antwort Jesu "Wer nicht von oben neu geboren wird, vermag das Reich Gottes nicht zu schauen" muss an dieser Sicherheit gerüttelt haben. Das Reich Gottes war gerade ein zentraler Lehrgegenstand der Pharisäer. Und so kann man auch in der folgenden Frage des Nikodemus eine gewisse Verunsicherung hören - mit einer offenen Frage tritt er aus der fraglosen Selbstsicherheit des allwissenden Gelehrten heraus: "Wie kann ein Mensch geboren werden, der alt ist?"
Die nächste Antwort Jesu spricht vom erneuten Geborenwerden aus Wasser und Lufthauch statt aus dem Fleisch und löst eine dritte, ganz offene Frage bei Nikodemus aus: "Wie kann das geschehen?"
Nun wird demjenigen, der sein Wissen aus den Schriften hat, ein Wissen aus der eigenen Anschauung entgegengehalten, das Irdisches und Himmlisches umfasst (Niemand ist in den Himmel aufgestiegen, er sei denn vom Himmel herabgestiegen: der Sohn des Menschen). Dann entfaltet sich eine Lehre von Christus, in deren Zentrum der Satz von der Liebe Gottes zur Welt steht: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde gehe, sondern ewiges Leben habe.
Ein zweites Mal tritt Nikodemus im Hohen Rat auf, als seine Kollegen sich wütend über den Volksverführer Jesus auslassen (7.40-52). In diesen Tumult hinein fragt er: "Richtet unser Gesetz jemanden, bevor man ihn gehört hat und erkennt, was er tut?" Diese Äußerung erforderte in der emotionalisierten Stimmung seiner Umgebung Mut. Nikodemus erweist sich damit als ein unabhängig urteilender selbständiger Mensch, der aus dem "Wir" der Gruppe herausgetreten ist. Der in seinem Namen enthaltene Sieg über das Volksmäßige wird offenbar.
Ein letztes Mal findet sich Nikodemus bei der Grablegung am Karfreitag ein, als er die für die jüdische Bestattung vorgesehenen aromatischen Kräuter Myrrhe und Aloë bringt (19.38-42). Der Pharisäer Nikodemus und der Ratsherr Joseph von Arimathia sorgen für eine ehrenvolle Bestattung eines zum schimpflichsten Tode Verurteilten. Dies ist eine Ungeheuerlichkeit von Seiten zweier Männer aus eben jener Führerschaft der Juden, die diese Verurteilung zu verantworten hat. Mit der Sprache ihrer Taten widersprechen sie einerseits öffentlich dem Urteil des Gremiums, dem sie angehören, und bringen andererseits zum Ausdruck, dass der Verstorbene ein Ehrenbegräbnis verdient. Rudolf Steiner wies darauf hin, dass die medizinische Wirkung dieser Kräuter den Zerfallsprozess des Leibes fördert und so der fast schon zu Asche zerfallene Leib Jesu Christi bei dem Erdbeben am Ostersonntagmorgen in die Erde aufgenommen werden konnte. Durch die 100 Pfund Kräuter, die Nikodemus herbeibrachte, trägt er wesentlich dazu bei, dass die Auferstehung Christi möglich wurde.
Wie erwähnt, gibt es unter dem Namen Nikodemus-Evangelium eine apokryphe Schrift, die in sich aus zwei selbständigen Teilen besteht:
- die Pilatusakten: sie umfassen die Darstellung des Prozesses vor dem Vertreter der römischen Staatsmacht, welcher das Spiel der Ankläger aus dem jüdischen Establishment des Tempels und der Schriftgelehrten durchschaut, doch die Kreuzigung nicht verhindern kann.
- die sog. Höllenfahrt Christi: eine Darstellung der Geschehnisse am Karsamstag im Reich der Verstorbenen, wo der Gekreuzigte erscheint und jene aus der Herrschaft des Todes und des Teufels befreit. Man kann diese Schilderung der Höllenfahrt im Zusammenhang sehen mit der oben genannten Belehrung des Nikodemus. Hat Nikodemus inzwischen seinerseits gelernt, Dinge auszusprechen, die er weiß und über-sinnlich geschaut hat ähnlich wie die vier Evangelisten? Er tritt auf als Zeuge eines Lebens jenseits des Todes.